08.11. — 13.12.2014


Mitate — Museum
Akihiro Higuchi

Akihiro Higuchi - Mitate  Museum


Seit Menschengedenken besteht zwischen ihnen und der Kreatur ein konfliktreiches Liebesverhältnis. Der Mensch liebt sie aufgrund ihrer Kraft und Instinkte, ihrer Produkte und ihres Fleisches. Das Tier wiederum folgt ihnen auf den Fährten ihrer Kultur. Und als zoon politikon, als politisch handelndes Wesen und Tier erkennt sich der Mensch als Verwandter seines animalischen Gegenübers. Akihiro Higuchi verleiht diesem prekär ungleichen Liebesverhältnis zwischen Mensch und Tier eine besondere Note, indem er das Tier ebenso vielschichtig wie ... mehr lesen

Akihiro Higuchi - Mitate  Museum

Seit Menschengedenken besteht zwischen ihnen und der Kreatur ein konfliktreiches Liebesverhältnis. Der Mensch liebt sie aufgrund ihrer Kraft und Instinkte, ihrer Produkte und ihres Fleisches. Das Tier wiederum folgt ihnen auf den Fährten ihrer Kultur. Und als zoon politikon, als politisch handelndes Wesen und Tier erkennt sich der Mensch als Verwandter seines animalischen Gegenübers. Akihiro Higuchi verleiht diesem prekär ungleichen Liebesverhältnis zwischen Mensch und Tier eine besondere Note, indem er das Tier ebenso vielschichtig wie mehrdeutig um kulturelle Errungenschaften bereichert. Nicht am lebenden Tier, sondern am toten, präparierten oder nachgeformten Leib ergreift Higuchi seine Kultivierungsmassnahmen. Viel Aufwand und Liebe steckt der Künstler in die Bemalung von Motten, der Ausschmückung ihrer unscheinbaren Flügel mit feinsten Miniaturen, schillernden Motiven zarter Blüten, eines Pfaus oder eines Pin-Ups. Ähnlich verfährt Higuchi mit anderen Tieren, Hirschkäfern etwa, deren schwarze Panzer sich zur Bemalung anbieten. Auch hier setzt er erneut filigrane Miniatur-Motive aus dem Fundus fernöstlicher Malerei, von klassisch bis Manga. Anders verfährt Akihiro Higuchi mit Nachbildungen von Säugetieren und Reptilien, die er modisch einkleidet. Mit einer Art Schal-Strumpf für Giraffen, einem Leibchen für Schlangen, dicker Winterwolle und Ohrenschützer für ein Erdmännchen oder einem Pulli für Eisbären.

Das fein inszenierte Spiel mit Kultur, Natur und Kreatur zeugt von einer ästhetisch anspielungsreichen Raffinesse, die in Japan in der Tradition des Mitate, einer ursprünglichen literarischen Form der Beschreibung steht. Unter Mitate versteht man auch das Spiel mit assoziativen Stellvertretern vorgegebener Formen. Berühmte Meister der Teezeremonie aus dem 16. Jahrhundert etwa ersetzten wertvolle Teeschalen durch formverwandte, jedoch minderwertige, nicht für den Teegenuss vorgesehene Gefässe. Ein zu dynastischen Zeiten nicht ungefährliches Unterfangen, das manch einen Zeremonienmeister in den Freitod trieb. Ähnlich verfährt Higuchi mit bunten und populären Spielzeugfiguren, die er neben klassische Götterdarstellungen platziert. Die Figuren aus den gegensätzlichen Welten von Hi and Low haben jedoch eines gemeinsam: ihre Körperhaltung, die sich nach einem tradierten Kanon ausrichtet. Der Kulturhistoriker Aby Warburg hat für solche formelhaften Ähnlichkeiten von Gestik und Mimik den Begriff der Pathosformel geprägt.

Die Kunst des Mitate zeigt sich ebenso in den animalischen Werken von Akihiro Higuchi. Etwa darin, dass der Künstler mit dem schelllackähnlichen Glanz der Käfer auf den glänzenden Lackhintergrund von Schalen und anderen Gefässen anspielt. Oder mit wappenähnlichen Bemalungen die Käfer ihrer Form und Beschriftung nach in Samurai-Krieger verwandelt. In doppelter Hinsicht ersetzt Natur damit den kulturellen Hintergrund, als materieller Bildträger sowie als perfekter Ersatz für einen malerisch erzeugten Untergrund. In der künstlerischen Geste Kultur auf das Tier zu projizieren, ist deshalb auch immer die Gegenbewegung enthalten, nämlich menschliche Erzeugnisse durch animalische Natur zu überbieten. Das ungleiche Liebesverhältnis zwischen Mensch und Tier spricht im selben Maße von übertriebener Tierliebe bis zur Idealisierung des Tiers als besserer Mensch wie es umgekehrt von dessen Nutzung und Ausbeutung erzählt. Es ist ein Verhältnis von stets wechselnder Parteinahme. Text: Wolf Jahn

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