Mit unserer neuen Reihe REDISCOVERY OF THE WEEK stellen wir Ihnen ab jetzt regelmäßig Werke unserer Künstler*innen vor und beschäftigen uns mit deren Ebenen, die zu erkennen, zugegebenermaßen, auf den ersten Blick nicht immer einfach ist.
Sato: Wann hast du angefangen, Insekten zu bemalen? Gab es einen Anlass dazu?
Higuchi: Das hat bestimmt damit zu tun, dass ich als Kind leidenschaftlicher Insektensammler war. Ich habe so um 2002 zum ersten Mal einen Nachtfalter bemalt. Damals wollte ich mit Dingen arbeiten, die für mich wirklichkeitsnah sind. Ich dachte: Obwohl ich Insekten liebe, gibt es Insekten, die ich mag und andere, die ich nicht mag. Nicht vom Kopf, sondern vom Gefühl her. Warum eigentlich? Das ist doch ungerecht! Eine ziemlich kindliche Frage. Und so fing ich an, schöne oder niedliche Muster auf Nachtfalter zu malen, die ja im Gegensatz zu den sympathischen Schmetterlingen äußerst unbeliebt sind.
Aber meine Arbeiten stellen keine Antworten dar und schon die Fragestellung ist falsch: Schmetterlinge und Nachtfalter leben nicht, um Menschen zu gefallen. Das Problem ist eher, dass die Menschen in dem Glauben leben, dass sie den Mittelpunkt darstellen. Das hat Jan-Frederik Rust in seinem Text sehr schön erläutert:
„Menschen lieben ihre Haustiere und essen trotzdem Fleisch. Higuchis Arbeiten beleuchten den unvermeidlichen Egoismus der Menschen und das Naturgesetz
“ so in etwa, glaube ich.
Sato: Besonders die Insekten-Serie erinnert mich an den Film „Nokan – Die Kunst des Ausklangs“* von Yojiro Takita, in welchem es um den Umgang mit dem Tod und die Kunst des Bestattens geht.
Higuchi: Ich finde, dass ein Kunstwerk und seine Aussagen nicht im Kopf des Künstlers vollendet werden. Ein Bildhauer kann mit Holz, Eisen oder Erde arbeiten, aber sie nicht selbst herstellen. Die Materialien waren schon da und wurden von anderen Menschen verwendet, bevor der Künstler sie nahm. Hinzu kommt, dass jeder Mensch seine eigenen Vorstellungen, Erinnerungen und Erfahrungen hat. Darin liegt das Potential, dass die Werke über den Künstler hinauswachsen. Wenn schöne Bilder, die der Künstler nicht beabsichtigt hat, in den Köpfen der Betrachter entstehen, finde ich das wunderbar.
* "Nokan - Die Kunst des Ausklangs": Ein japanischer Film aus dem Jahr 2008 über einen Mann, der in einem Bestattungsunternehmen arbeitet. Nokan beschreibt die Zeremonie, in welcher Verstorbene, vor den Augen ihrer Angehörigen, in einer weihevollen, stillen, sanften Zeremonie gewaschen, geschminkt und eingesargt werden.
Sato: Als Vorbereitung deiner Werke müssen die Insekten oder alte Holzstücke und Holzskulpturen ja immer repariert werden. Was bedeuten diese Reparaturarbeiten für dich?
Higuchi: Heutzutage werden die Elektrogeräte ja nicht mehr repariert. Sie erzählen einem ja, dass es sich nicht lohne, um neue Geräte zu verkaufen. Aber es wäre viel besser, wenn man die Dinge mehr wertschätzen und sie reparieren würde. Dinge, mit denen man sorgsam umgeht, werden mit der Zeit immer besser. Ich repariere die Insektenpräparate, weil ich sie mit Respekt behandeln möchte. Es gibt Reparaturarbeiten, die das Schöne der gealterten Dinge zunichte machen. Auf der anderen Seite können gute Reparaturarbeiten eine Sache wieder erstrahlen lassen.
Bei Kintsugi* oder alten Stoffresten, die sorgsam zu einem Patchwork geflickt und zusammengenäht werden, übersteigt das Resultat das Original. Und manch technisch unbeholfene Reparaturarbeit bringt trotzdem Gutes hervor, weil sie mit Hingabe verrichtet wurde. Aus solchen Gedankenspielen habe ich meine Arbeiten der Reparatur-Serie entwickelt.
* Kintsugi: Eine traditionelle japanische Reparaturmethode für Keramik.
Sato: Die Arbeiten mit den Insekten beruhen auf verschiedenen Konzepten. Kannst du das Konzept der Serie „Blumen“ erläutern?
Higuchi: Pflanzen schmücken sich, indem sie blühen. Wahrscheinlich, damit die Insekten sie ansehen. Und die Menschen finden sie auch schön und machen es nach. Es kann sein, dass Insekten nicht wie Menschen die Blüten schön finden, aber vielleicht empfinden sie viel mehr auf einer anderen Ebene. Es ist eine Art Schabernack, die Insektenpräparate zu bemalen. So malte ich Blüten auf bescheiden lebende Insekten, die verwelkte Blätter oder vertrocknete Gräser nachahmen.
Sato: Was magst du an diesem Werk besonders?
Higuchi: Es ist ein schwächliches Insekt, das bescheiden und still lebt, indem es Blätter nachahmt. Sogar die Beine sehen aus wie Blätter. Dieses Insekt begann sich wahrscheinlich noch lange vor der Menschheit zu entwickeln. Selbst im Verlauf der Evolution versteckt es sich in Blättern und lebt friedlich ohne Waffe. Ich denke, es ist ein sehr schönes Insekt. Verziert mit Blumen sieht es aus wie ein Kleid. Dieses Werk gehört zu meinen Favoriten.
Sato: Woher kommt das Motiv?
Higuchi: Das Blumen-Motiv kommt aus einer Zeichnung von Shibata Zeshin*, dem Maler der späten Tokugawa- und frühen Meiji-Zeit. Es war eine Vorzeichnung für die Deckenmalerei des Meiji-Palastes, der 1888 erbaut und 1945 im Krieg zerstört wurde.
Im Waka** und Haiku gibt es eine Technik des bewussten Gebrauchs von bereits verwendeten Wörtern. Ich denke, dass die japanische Kunst und Kultur schon immer von dieser Verwendung derselben Wörter bzw. Mustern getragen wurden, die dann in die nächste Generation weitergegeben wurden.
Ich sehe in den traditionellen japanischen Mustern oder Motiven nicht das, was wir heute Autorenschaft oder individuelle Originalität nennen. Die Originalität liegt in dem Werk selbst, aber nicht in den Mustern. Denn die Muster oder Motive wurden ja aus der vorangegangenen Ära überliefert.
* Shibata Zeshin: Ein japanischer Maler (1807–1891), der zu den größten Meistern der Lackarbeiten des 19. Jahrhunderts gehört.
** Waka: Ein Genre der traditionellen japanischen Dichtkunst.
Interessante Links und aktuelle Ausstellung von Akihiro Higuchi