Miyuki Tsugami, View, a waterway, Hamburg, 4:45pm 2 Nov 2018/2019, 2019, Pigment, acrylic paint and other media on canvas, 130 x 241,3 cm

Rediscovery of the week Teil 5 - Miyuki Tsugami

18.09.2020

Künstlergespräch mit Miyuki Tsugami und Wolf Jahn (Hamburg, Oktober 2019)

Wolf Jahn: Warum fasziniert Sie die Landschaft als Sujet?

Landschaft hängt sehr eng mit dem Leben des Menschen zusammen und im Grunde ist alles Landschaft, was wir sehen. Als ich Teenager war, habe ich mich zum ersten Mal bewusst in der Landschaft, also vor Ort gezeichnet. Menschen kommunizieren durch die Sprache oder Gesten. Mir wurde damals bewusst, dass ich durch meine Bilder kommunizieren kann. Ich begebe mich zu einem Ort und zeichne, und dabei versuche ich, den Ort auf einem Blatt Papier einzufangen. Beim Skizzieren geht es darum, wie man die Welt empfängt/wahrnimmt und „ausschneidet“.


WJ: Mir scheint, dass Sie überwiegend Kulturlandschaften, also zum Beispiel vom Menschen gestaltete Orte wie Städte oder Ackerland als Motive haben. Stimmt das?

Es gibt eigentlich keine Landschaft, die nicht vom Menschen gemacht ist, denn eine Landschaft entsteht nicht ohne den Menschen, der sie betrachtet. Das Meer, der Himmel, der Erdboden: Alles „entsteht“ durch ein solches „Aufschneiden“ oder Aufteilen der Welt durch den Menschen. So gesehen ist praktisch alles Landschaften, die vom Menschen gemacht sind.


WJ: Ist Ihre Arbeitsweise ähnlich wie bei Mondrian, der ja zum Beispiel einen Baum erst realistisch gemalt und nach und nach abstrahiert ha, oder bei Turner, der ja das Licht auf der Meeresoberfläche abstrahiert eingefangen hat?

Ich selbst würde meine Werke nicht „abstrakte Malerei“ bezeichnen, weil ich mit einer solchen Kategorisierung Probleme habe. Mir geht es nicht darum, die Landschaft auf meine individuelle, persönliche Weise abstrahiert zu malen, sondern darum, zunächst physisch, also körperlich direkt vor Ort in der Landschaft anwesend zu sein und den Ort wahrzunehmen und zum Zeitpunkt, in dem ich das alles auf der Leinwand rekonstruiere und sozusagen reproduziere, achte ich darauf, möglichst objektiv zu sein. Mit „objektiv“ meine ich, dass ich versuche, Bilder zu erschaffen, zu denen jeder Betrachter, der davor steht, an Orte in seiner eigenen Erinnerung erinnert werden kann, also dass die Bilder etwas, was in dem jeweiligen Betrachter steckt, berührt bzw. daran verknüpft werden können; so eine Objektivität strebe ich an. Mein Ziel ist also nicht meine persönliche Hamburg- oder Osakabilder zu erschaffen, sondern ich möchte, dass die Bilder sozusagen als alles mögliche betrachtet werden können. In dieser Hinsicht würde „Individualität“ stören. Im Gegenteil, ich versuche, so zu malen, in dem ich mich zurücknehme.


WJ: Als Ergebnis könnten Ihre Bilder vielleicht äußerlich betrachtet formal als abstrakt bezeichnet werden, aber das sieht also lediglich als Ergebnis so aus und es ist nicht beabsichtigt.

Ich finde, dass man mit dem Wort „abstrakt“ vorsichtig umgehen sollte und genau hinhören muss, was damit gemeint ist. Es ist ein „delikates“ Wort. Und ja, in der heutigen Zeit, in der man immer und überall mit seinem Handy Fotos machen kann, hat das Zeichnen auf Papier ein anderes Gewicht oder eine andere Bedeutung als in der Zeit von Mondrian oder Turner. Ein Bild zu malen ist ja ein Prozess, eine Botschaft oder Aussage auf einem flachen Grund einzuritzen, ähnlich wie bei dem Rosettastein. Etwas dreidimensionales, räumliches in einer zweidimensionalen Fläche einzufangen und dabei eine unendliche Weite zu gewinnen.


Miyuki Tsugami, 2018, sketch

WJ: Wie sieht der Arbeitsprozess aus?

Ich finde es wichtig, nicht nur mit meinen eigenen Augen zu sehen, sondern die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Orte zu recherchieren, um Hamburg oder Osaka im weiten Sinne zu begreifen und es somit durch einen Filter der Objektivität zu passieren. Zuerst zeichne ich vor Ort in der Landschaft. Danach fertige ich im Atelier Studien auf Papier an und experimentiere mit den Kompositionen und Farben, treffe Entscheidungen. Erst nach diesen zwei Schritten beginne ich, mich der Leinwand zuzuwenden. In dem Stadium sind im Grunde bereits alle Entscheidungen in Bezug auf Farben oder Kompositionen getroffen. Aber trotzdem gibt es manchmal solche spontanen Einfälle wie bei dem einen ursprünglich vierteiligen Hamburg-Bild, bei dem ich das eine Bild vom linken Rand einfach wegnahm und zu einem ursprünglich zweiteiligen Osaka-Bild am linken Rand hinzugefügt habe. Bei meinen Arbeiten bin ich in verschiedene Personen gespaltet: Die Person, die Skizzen anfertigt und eine andere Person, die diese Skizzen betrachtet und deren Linien auseinanderwirbelt und es als Studien auf Papier rekonstruiert und wieder eine andere Person, die auf Leinwand malt. Bei den Skizzen und Studien schreibe ich neben den Zeichnungen auch Notizen rein – während dieser Phase werden die noch nicht zu Ende gedachten Zwischenstände aufgezeichnet, also sind das sozusagen meine Gedanken. Deshalb kann ich die Studien nicht verkaufen.


Miyuki tsugami, 2018, sketch, Hamburg

WJ: Was bedeutet Wasser für Sie?

Wasser ist überall in der Landschaft vorhanden. Es fließt und zirkuliert ebenso im Körper des Menschen. Ich verwende auch Aquarellfarben, wenn ich draußen skizziere, und auch im Atelier verwende ich Wasser statt Öl für die Pigmente.
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